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Elternschaft und psychische Störung sind zwei Begriffe, die in ihrer Kombination nicht selten gemeinsam auftreten. Dennoch wird die Thematik oftmals von den betroffenen Eltern und ihrem Umfeld tabuisiert. Auf Social Media kursieren tendenziell leichte und unterhaltsame Familienvideos. Dies impliziert für viele betroffene Eltern: Wenn die anderen eine “glückliche Elternschaft” schaffen, sollte ich es wohl auch. Die Wahrheit ist meist komplexer und wird im Alltag nicht bzw. ungern besprochen.

Der Beitrag soll zur Entstigmatisierung beitragen. Zu Beginn werde ich etwas zu den Zahlen der Betroffenen berichten. Ziel dabei ist es zu verdeutlichen, dass psychische Störungen und Elternschaft ein häufiges und zu erwartendes Phänomen sind. 

Im zweiten Teil soll die kindliche Sicht verstärkt thematisiert werden. Sich in diese Perspektive zu versetzen, kann helfen als Elternteil anders zu reagieren.

Im dritten Teil finden sich konkrete Vorschläge, um die kindliche Resilienz zu stärken. Aus der Forschung ist bekannt, dass bestimmte Resilienzfaktoren Kindern dabei helfen sich gesund zu entwickeln. 

Psychische Störungen bei Eltern in Zahlen

Etwa 31 % der Menschen in Deutschland leiden zu irgendeinem Zeitpunkt in ihrem Leben an einer psychischen Störung (Lebenszeitprävalenz). Das bedeutet, dass bei hundert Menschen im Raum, ca. 31 davon irgendwann die Kriterien für eine Depression, Angststörung, Zwangsstörung etc. erfüllen. Wenn man sich die Betroffenen dann noch genauer anschaut, weisen davon ca. 39 % mehr als eine Diagnose auf (Komorbidität).

Die häufigsten Diagnosen, an denen Menschen in Deutschland leiden, sind:

Persönlichkeitsstörungen tauchen häufig gemeinsam mit den anderen Störungen auf. Bei der Betrachtung der Aufzählung kann man einen ersten Einblick erhalten, wie beschwert eine Elternschaft bei Vorliegen einer (oder mehrerer) der genannten Diagnosen sein kann. 

Häufigkeit von Kindern

Aus Untersuchungen ist bekannt, dass Menschen mit psychischer Störung im Schnitt genau so häufig Kinder haben wie Menschen ohne Störung. Etwa 30 % der Menschen mit schweren psychischen Störungen haben aktuell ein minderjähriges Kind. Laut statistischen Schätzungen ist davon auszugehen, dass etwa 70 % der Menschen mit psychischer Störung gemeinsam mit ihrem Kind bzw. Kindern zusammenleben.

An welchen psychischen Störungen leiden Eltern?

Eltern können prinzipiell an jeder psychischen Störungen leiden. Jedoch sind die unten genannten Störungen am häufigsten vertreten:

  • Affektive- und Angststörungen (ca. 36%)
  • Persönlichkeitsstörungen (ca. 26 %)
  • Psychotische Störungen (ca. 23 %)

Beschränkt man sich nicht nur auf die stationäre Psychiatrie, sondern bezieht Psychosomatik und die ambulante Psychotherapie mit ein, wird die Elternschaftsrate bei Menschen mit psychischer Störung vermutlich höher (als angenommen) ausfallen.

Kein seltenes Phänomen

Es ist anzunehmen, dass auf ein Jahr etwa 3 Millionen Kinder einen Elternteil mit einer psychischen Störung erleben. Dabei ist ein sehr junges Lebensalter des Kindes ein Risikofaktor für die Entwicklung der elterlichen psychischen Störung. Dies liegt darin begründet, dass sehr junge Kinder oft ein Übermaß an Fürsorge benötigen.

In Deutschland gibt es etwa 56.000 Betten in psychiatrischen Kliniken und Abteilungen. Nach Schätzungen erleben jährlich etwa 175.000 Kinder, dass ein Elternteil stationär aufgenommen und behandelt wird.

Kinder leiden, wenn die Eltern leiden

Die psychische Störung der Eltern ist bis heute ein tabuisierter Hochrisikofaktor für die kindliche Entwicklung. Kinder erkrankter Eltern haben im Schnitt ein vierfach erhöhtes Risiko selber eine psychische Störung zu entwickeln. Das Risiko steigt zu dem mit der empfundenen psychischen Belastung der Eltern weiter an.

Im Allgemeinen liegt die Häufigkeit für eine psychische Auffälligkeit bei Kindern in Deutschland bei etwa 17 %. Etwa jedes fünfte bis zehnte Kind leidet zu einem gegebenen Zeitpunkt an einer psychischen Störung.

6 Auswirkungen auf Kinder

Die meisten Eltern lieben ihre Kinder sehr. Durch eine psychische Störung kann das Band zwischen Eltern und Kind jedoch stark in Mitleidenschaft gezogen werden. Eine elterliche psychische Störung gilt als Hochrisikofaktor für die kindliche Entwicklung. Dabei sind psychische Störungen mehr als die Summe ihrer Symptome. Es bedarf eines komplexen Blickes auf die gesamte Familiensituation. Wenn die Eltern leiden, stecken dahinter nicht selten transgenerationale Aspekte. Der Abschnitt rückt die kindliche Erlebniswelt in den Vordergrund.

Familiärer Alltag

In elterlichen Krisen können die vertrauten Alltagsstrukturen wegbrechen. Dies kann ein Kind in einen haltlosen Zustand versetzen. Zum Beispiel, wenn der Vater morgens nicht mehr aus dem Bett kommt oder die Mutter anteilnahmslos beim kindlichen Spiel beisitzt (“die anwesendene abwesende Mutter”). Besonders schwer ist der Alltag für Kinder, die nur einen Elternteil haben. Eine psychische Störung der Eltern geht so gut wie immer einher mit einem Betreuungsdefizit. Es mangelt oftmals an Zuwendung und Aufmerksamkeit.

Fehlende Unterstützung

Soziale Unterstützung gilt als gesicherter protektiver Faktor bei Kindern von psychisch kranken Eltern. Retrospektiv geben Kinder an, dass sie sich mehr Unterstützung gewünscht hätten. Durch die Tabuisierung fehlen externen Personen wichtige Informationen zu den Umständen der betroffenen Familie. Oft bleibt die Hilfe dann aus. Kinder fühlen sind meist verstrickt und unentbehrlich. Sie haben Sorge, dass ihre Abwesenheit katastrophale Folgen haben könnte. Dadurch pflegen sie weniger Beziehungen und Freundschaften außerhalb der Familie.

Tabuisierung

Eltern wollen ihre Kinder schützen, in dem sie nicht über ihre Störung sprechen. Dadurch entsteht meist ein unbeabsichtigtes Rede- und Kommunikationsverbot. Oft haben Kinder den Eindruck, mit niemandem über innerfamiliäre Probleme sprechen zu dürfen, obwohl ihnen danach wäre. Sie haben Sorge die Eltern zu verraten oder ihnen etwas “Böses” damit anzutun. Die Gründe für das Tabu sind z.B. Scham, gegenseitige Schonung und die Angst vor Stigmatisierung. Nicht selten haben Eltern Angst das Sorgerecht zu verlieren oder in ihrer Elternrolle infrage gestellt zu werden.

Parentifizierung

Eine elterliche psychische Störung bringt das System “Familie” durcheinander. Oft werden dabei Generationsgrenzen und Interaktionsregeln verschoben. Kinder und Eltern tauschen ihre Rollen. Erkrankte Eltern signalisieren (unbewusst) oft eine Bedürftigkeit. Kinder werden meist zu vertrauten Ratgebern und eine Quelle des Trosts. Für Kinder ist es jedoch unmöglich den “Aufträgen” gerecht zu werden. Gleichzeitig machen sie sich Sorgen, dass sich ein Elternteil bei Nichterfüllung abwenden wird bzw. sie zum Sündenbock der Familie werden.

Klinikeinweisungen

Die meisten Kinder sind emotional eng mit ihren Eltern verbunden. Sie nehmen früh und genau Veränderungen der elterlichen Verfassung auf. Kinder sind feinfühlige Beobachter und stellen sich auf das Störungsbild der Eltern ein. Besonders traumatisch kann dabei die stationäre Aufnahme eines Elternteils sein. Häufig ist dieses Ereignis mit dramatischen Umständen, und dem Gefühl allein gelassen zu werden, verbunden. Eltern sind für die meisten Kinder ein sicherer Hafen. Einweisungen können das Elternbild des Kindes stark erschüttern.

Kindliche Gefühle

Die elterliche psychische Störung löst in Kindern starke Gefühle aus. Emotionale und räumliche Trennungen machen Angst. Kinder haben Sorge, dass ihren Eltern etwas zustößt und sie nicht die Behandlung erhalten, die sie brauchen. Es besteht die Sorge, dass sich der Zustand verschlimmert und was dies für das eigene Wohl bedeutet. Kinder beziehen vieles auf sich. Sie geben sich oft die Schuld für das elterliche Leid. Gleichzeitig schlucken sie ihre Wut über die ungenügende Präsenz, um ihre Eltern zu schonen. Folgen sind z.B. eine gesteigerte kindliche Reizbarkeit oder eine Demoralisierung mit depressivem Rückzug.

Kinderstimmen

“[…]und dann hat sie irgendwie gar nichts gesagt. Sie stand da nur so im Flur und hat dann die ganze Zeit immer geschaut und geweint. Und dann habe ich auch irgendwie gefragt so, was ist denn los? Da habe ich mir auch schon richtig Sorgen gemacht, weil ich hab das nicht verstanden und immer nur gedacht, was ist mit meiner Mutter los. Und dann habe ich auch angefangen zu weinen.” (Mädchen 12 Jahre)

“Wir haben manchmal auch selber gekocht […], meistens Nasi Goreng. Das schmeißt man einfach in die Pfanne[…]. Meine große Schwester hat immer geputzt. (junge 9 Jahre)

“Manchmal mache ich mir ein bisschen Sorgen und manchmal weine ich auch ein bisschen darüber[…], dass es irgendwann noch schlimmer wird[…]. Wenn sie irgendwann im Krankenhaus bleiben müsste, ganz lange.” (Mädchen 7 Jahre)

Kindliche Resilienz fördern

Die Forschung macht Mut: Trotz belastender Umstände, können sich Kinder selbstsicher, widerstandsfähig und kompetent entwickeln. Studien zeigen, dass soziale Beziehungen maßgeblich an der Entwicklung von Resilienz beteiligt sind. Sie entsteht durch die Wechselwirkung zwischen Kind und seinem Umfeld. Zu Beginn tragen Eltern viel zur kindlichen Widerstandsfähigkeit bei. Später sind es weitere Verwandte, Peers und Fachkräfte. Der Abschnitt soll betroffenen Eltern Mut machen und Ihnen Impulse geben.

Nähe spenden

Bei Stress und Unsicherheit aktiviert sich das kindliche Bindungssystem. Das Kind sucht dann (körperlichen und emotionalen) Schutz bei seinen Bezugspersonen. Auf dieses Bedürfnis einzugehen, stärkt das Band zwischen Eltern und Kind. Anschließend kann das Kind gestärkt die Welt erforschen und Autonomie erleben.

Feinfühligkeit schulen

Eine sehr wichtige elterliche Eigenschaft ist die Feinfühligkeit. Sie kann bei elterlicher Belastung eingeschränkt sein. Eltern können die Fähigkeit stärken, indem sie das kindliche Verhalten beobachten und sich fragen: “Welches Bedürfnis hat mein Kind gerade?”.

Anerkennung geben

Kinder wollen sich in der Beziehung zu ihren Bezugspersonen sicher fühlen. Die elterliche Reaktion hat großen Einfluss darauf, ob ein Kind sich in seinem Erleben und als Person anerkannt erlebt. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für ein positives Selbstbild und die Überzeugung sich als kompetent und wirksam zu erleben.

Gefühle benennen

Das elterliche (unaus-)gesprochene Wort hat einen großen Einfluss auf die Gefühlsregulation. Es lohnt sich als Elternteil das kindliche Gefühl zu benennen, um es in der Wucht abzumildern, z.B.: “Ich kann verstehen, dass du traurig bist, weil…”.

Probleme bewältigen

Kinder erleben Spannungen und Probleme oft belastender als Erwachsene. Ihnen fällt es meist schwerer sich zu entspannen. Dem Kind zu helfen eine Problemlösefähigkeit zu entwickeln, hilft Eltern und Kindern auf lange Sicht.

Schritt für Schritt ans Problem

  1. Beschreibung: Was sind deine Probleme/Sorgen?
  2. Lösungen suchen: Was könnten wir tun?
  3. Konsequenzen: Was passiert, wenn wir es so machen?
  4. Abwägen der Möglichkeiten: Was kannst du noch tun?
  5. Handeln: Komm, das probieren wir jetzt mal aus!
  6. Überprüfung: Und, hat es geklappt? Geht es dir besser?

Kontakt zu anderen

Studien zeigen, dass außerfamiliäre Kontakte wie ein “soziales Immunsystem” wirken können. Die familiäre Belastung ist oft Tabu. Kinder sind hin und her gerissen. Sie führen weniger Kontakte außerhalb der Familie. Gleichzeitig kann der Kontakt zu Gleichaltrigen, oder z.B. Vereinen, sehr entlastend für Kinder sein.

Die Erlaubnis geben

Wenn Eltern an einer psychischen Störung leiden, haben sie manchmal keine ausreichende Kapazität für eine präsente Elternschaft. Es ist keine Schande dem Kind eine weitere Bezugsperson zu gewähren (z.B. Verwandte, Eltern von Freunden oder Fachpersonal).

Krankheit besprechen

Kinder haben von Geburt an feine Antennen. Auch wenn sie das gesprochene Wort noch nicht verstehen, spüren sie die häusliche Atmosphäre. Mit der Zeit werden (auf-)klärende Gespräche immer wichtiger, weil Kinder ab einem gewissen Alter Zusammenhänge verstehen. Gespräche helfen dem Kind dabei die Situation besser einzuordnen.

Worauf ist zu achten?

Die Gespräche sollten in einem geschützten Rahmen stattfinden. Die Sprache sollte kindgerecht und eher allgemein gewählt werden. Das Kind soll die Möglichkeit bekommen Fragen zu stellen. Es darf das Gespräch jedoch auch jederzeit verweigern!

Sich Hilfe suchen

Viele Eltern machen sich Sorgen über die Entwicklung ihres Kindes und leben mit Schuldgefühlen. Sie verlieren das Vertrauen in die eigene Kompetenz. Es fehlt betroffenen Eltern oft das Wissen darüber auf welche Hilfen sie Anspruch haben. Dies führt dazu, dass sie die Probleme gehäuft mit sich selber ausmachen.

Wichtige Hilfen

Anlaufstellen die bei psychischer Störung und Elternschaft helfen könnten, sind:

  • Sozialpädagogische Familienhilfe
  • Erziehungsbeistandschaft
  • Erziehungsberatungsstellen
  • Psychotherapie
  • Mutter-Kind-Behandlungen (z.B. stationär)

Anfragen und Beratung

Anfragen bezüglich Beratung, Workshops, Vorträgen oder Supervision können gerne über kontakt@gedankenausmblog.de gestellt werden.

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